Wie schnell die Zeit vergeht…
Inzwischen sind schon die ersten drei Monate meines Freiwilligendienstes im Kindergarten „Iniykusiriy“ in San Juan de Lurigancho, einem Armenviertel in Lima, Peru um. Nun ist es an der Zeit über meine ersten Eindrücke und bereits gewonnen Erfahrungen aus dem peruanischen Lebens genauer zu berichten:
Die Straßen sind gefüllt von hupenden Taxis, Bussen und Dreirädern.
Die Bürgersteige überfüllt von Menschen, die eilig die Kreuzung passieren. Niederkniende Männer, die im raschen Tempo die staubigen Lederschuhe wieder schwarz glänzend erscheinen lassen .Gelb gekleidete Eisverkäufer, welche die Straßen auf und ab radeln. An jeder Ecke sind kleine Süßigkeitenstände zu finden. Tanzende und turnende Kinder tummeln sich während der roten Ampelphasen auf der Straße. Bettelnde Kinder lassen aus tiefbraunen Äuglein ihre Blicke über die Passanten schweifen. Singende und vom Leid erzählende Menschen bitten um eine kleine Spende.
Wie sieht die Umgebung aus?
Ich sehe unfertige, provisorisch errichtete Häuser. Trocknende Wäsche auf den kargen Wellblechdächern. Die Straßen sind staubig; an ihren Rändern häufen sich die Müllberge.
Die Berge in der Ferne sind grau; der Himmel ist von einer dunklen Wolkendecke verhangen!
Ich frage mich: Wie funktioniert ein glückliches und zufriedenes Leben in diesem Chaos?
Von meinen anfänglichen Eindrücken fühlte ich mich ziemlich erdrückt und ein wenig hilflos in so einer großen und chaotischen Stadt.
An meinem Ankunftstag, am Flughafen, wurde ich herzlich mit offenen Armen von zwei Kindergärtnerinnen empfangen und freudig aufgenommen.
Nun wohne ich bei einer fünfköpfigen Familie, die zwei große Hunde besitzt.
Wir leben direkt über einem Restaurant an einer großen Kreuzung,
wo leider selbst das Schiebefenster den Lärmpegel des hektischen Verkehrs nicht draußen halten kann!
Ich habe sogar ein eigenes, kleines Zimmer, womit ich gar nicht gerechnet habe. Auf dem Wellblechdach, direkt über mir, leben in einer Hütte die zwei großen Wachhunde. Da wird auch die Wäsche gewaschen und getrocknet.
Womit ich nicht gerechnet habe, war, dass es mich direkt in das ärmste Viertel von Lima verschlagen hat, was annähernd so groß sein soll wie Berlin! Dies ist die Ursache für die schwerste und größte Umstellung in meinem Leben: Aufgrund der hohen Kriminalität in diesem Viertel, sollte ich mich nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr draußen bewegen und wenn überhaupt ein Taxi benutzen. Wegen meiner auffällig blonden Haare sollte ich mich auch tagsüber nicht allein fortbewegen und so den Weg zum Kindergarten immer variieren. Die ersten Wochen wurde ich immer von jemanden begleitet, überall hingebracht oder abgeholt.
Busse haben keine Zielangaben, es gibt keine offiziellen Haltestellen und die Fahrzeuge (Busse, Dreiräder und Taxen) sind nach europäischen Gesichtspunkten in keinster Weise verkehrssicher. In der Zwischenzeit finde ich mich zumindestens insoweit zurecht, dass ich weiß, wie ich zur Bank oder zum Einkaufen fahren muss oder ans Meer, um die anderen Freiwilligen zu besuchen. Das Wasser hier ein knappes Gut ist, was manchmal nur tropfenweise aus der Wand kommt, ist geradezu zweitrangig.
Da sich meine neue Familie sehr liebevoll um mich kümmert und mich wie ihr eigenes Kind aufgenommen hat, fühle ich mich in den vier Wänden hier sehr wohl und muss einfach lernen, mit diesen besonderen äußeren Umständen umsichtig umzugehen.
Nun zu meinem eigentlichen Auftrag hier freiwillig sozial und friedensunterstützend tätig zu werden:
Von jetzt auf gleich war ich im alltäglichen Leben der Peruaner integriert und begann direkt meinen Arbeitsauftrag, in dem kleinen niedlichen Waldorf-Kindergarten , nicht weit entfernt von meinem neuen Zuhause:
Zu Beginn variierte mein Arbeitstag zwischen acht und zwölf Stunden, je nachdem, wie viel Arbeit zu erledigen war. Meistens war es jedoch recht umfangreich, sodass ich nach einem langen Arbeitstag sehr müde und erschöpft nach Hause zurückkehrte. Morgens arbeitete ich in einer 25- köpfigen Gruppe von drei bis sechsjährigen. Ich spielte mit den Kindern, bastelte und backte mit ihnen und half überall ein wenig aus, wo meine Hilfe gebraucht wurde. Zusätzlich arbeitete ich mit einem 6-jährigen autistischen Jungen, der wirklich immer in Aktion war. Sein Verhalten äußerte sich durch unkontrollierte und aggressive Tätigkeiten, die er nicht nur gegenüber den Gleichaltrigen, sondern auch gegenüber den Kindergärtnerinnen und mir ausübte. Deshalb machte mir diese Arbeit oft ein wenig zu schaffen.
Den Nachmittag verbrachte ich in einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von nur zwölf Kindern. Wir backten, kochten und spielten draußen.
Wöchentlich finden einmal am Abend drei- bis vierstündige Zusammentreffen aller Erzieherinnen statt, um wichtige, anstehende Dinge zu besprechen. Diese Versammlungen gibt es ebenso mit den Eltern. An beiden muss ich teilnehmen, um informiert zu sein.
An den Wochenenden werden häufig Kindergartenfeste zur Aufstockung des Geldbudgets veranstaltet. Eines der größten jährlichen Veranstaltungen war das „Evento Cultural“, welches in einem großen Rahmen, begleitet von Tanz und Musik, im Oktober, in einem angemieteten Saal stattfand. Meine Teilnahme an solchen Events ist immer erwünscht.
Leider machten mir die autoritäre Umgangsform einer Kindergartenleiterin, sowie das aggressive Verhalten des autistischen Jungen und die 50-Stunden-Woche sehr zu schaffen!
Da mein freiwilliges und soziales Engagement während meiner Arbeit in der ersten Kindergartengruppe leider nicht sehr geschätzt, sondern eher ausgenutzt wurde und ich teilweise mehr arbeitete als die Erzieherinnen selber, ließen sich zwischenmenschliche Auseinandersetzungen mit meiner Chefin nicht vermeiden. Die Kündigung einer der Kindergärtnerinnen kam mir insofern zu Gute, das ich die nun fehlende Kindergärtnerin ersetzen sollte.
Nun arbeite ich in der Gruppe der kleinsten Kinder im Alter von eineinhalb bis dreieinhalb Jahren und kümmere mich um die sieben Ältesten. An dieser Arbeit gefällt mir besonders, dass ich die zur Verfügung stehende Zeit eigenständig kreativ umsetzen kann.
Wir spielen gemeinsam draußen, singen, backen und kochen.
Am Nachmittag beschäftige ich mich hauptsächlich mit einem
6-jährigen autistischen Jungen. Zwar hat auch er eine sehr starke Persönlichkeit, jedoch ist er respektvoll gegenüber den Erwachsenen.
Wir arbeiten täglich gemeinsam draußen: Bauen Sandburgen, schaukeln, spielen Fangen, pflanzen Blumen und regeln simple zu erledigende Sachen gemeinsam. Auch diese Arbeit macht mir inzwischen wirklich Spaß, auch wenn es oft sehr anstrengend ist. In der neuen Gruppenkonstellation fühle ich mich nun richtig wohl und meine Arbeit wird als wertvoll und nützlich angesehen.
Meine freien Wochenenden nutze ich, um sowohl die Stadt, als auch die nähere Umgebung ein wenig besser kennen zulernen. Ich war sehr überrascht, dass ungefähr drei bis vier Stunden fernab von Lima eine recht grüne, bergige und schöne Landschaft zu entdecken ist. Mein erster Ausflug erinnerte mich an meine Herbsturlaube in Österreich in den Bergen! Da die zu überwindenden Strecken immer recht weit von meinem zu Hause entfernt sind, verbringe ich häufig mein Wochenende bei den anderen Freiwilligen meiner Entsendeorganisation im Reichenviertel, in Chorillos. Dort kann ich in ihrem großen und farbenfrohen Garten, fernab von dem ganzen Trubel in der Hauptstadt, entspannen.
Zudem habe ich auch schon einige peruanische Kontakte geknüpft. Ich habe das Glück, dass meine Gastschwester ungefähr mein Alter hat und ich dadurch viel mit ihr und ihren Freunden unternehmen kann.
Betrachte ich nun nach drei Monaten in Peru/ Lima die Menschen in diesem Land, so gefällt mir an der peruanischen Mentalität besonders die Aufgeschlossenheit für Neues, die Herzlichkeit und die Redegewandtheit der Menschen.
Jedoch habe ich in der bisherigen Zeit auch die Erfahrung machen müssen, zu lernen, dass man immer eine gewisse Distanz und Vorsicht gegenüber den Menschen bewahren sollte. Hinter einer netten Fassade versteckt häufig doch noch eine dunkle Seite.
Ich darf auch nicht vergessen, dass zwischen unserer europäischen Mentalität und der peruanischen große Unterschiede zu finden sind, und es aus dieser Tatsache heraus, leicht zu Missverständnissen kommen kann.
Durch das Leben in meiner Gastfamilie habe ich die Chance, das peruanische Leben hautnah erfahren zu dürfen.
Leider gibt es Lima nicht soviel kulturell Ursprüngliches zu erleben wie auf dem Lande. Obwohl die Lebensbedingungen und Verhältnisse, auch in meiner Gastfamilie, sehr von denen in Deutschland abweichen, fühle ich mich inzwischen trotz alledem sehr wohl und bin glücklich, dass ich dieses Auslandsjahr realisieren konnte.
Meine ersten Eindrücke über die große, laute und schmutzige Stadt Lima haben sich kaum verändert, was wahrscheinlich auch niemals passieren wird. Ich kann jedoch sagen, dass ich mich nach einiger Zeit gut eingelebt habe und merke, dass es möglich ist, auch in ärmeren Verhältnissen zu leben.
Anfangs dachte ich, dass die Peruaner hier in Lima, doch trotz ihrer schwierigen Lebensumstände (aus meiner Perspektive) doch sehr lebensfroh seien und eine innere Zufriedenheit ausstrahlen. Durch meine Beobachtungen, und zahlreiche Konversationen habe ich feststellen müssen, dass sich oftmals hinter dieser glücklichen Fassade sehr viel tragische Lebensereignisse, Unzufriedenheit und Elend verbirgt. Trotz alledem sind die Peruaner sehr aufgeschlossen und gastfreundlich und strahlen Lebensfreude aus.
Dafür bewundere ich sie und habe sie sehr zu schätzen gelernt!